Bei ntvAls von „Grünen-Ideologie“ die Rede ist, wird Robert Habeck in TV-Talk deutlich

Robert Habeck (links) stellte sich den Fragen von Moderator Micky Beisenherz. (Bild: RTL)

Robert Habeck (links) stellte sich den Fragen von Moderator Micky Beisenherz. (Bild: RTL)

Hat das Bundeswirtschaftsministerium den AKW-Weiterbetrieb 2024 nicht ideologiefrei geprüft? Im ntv-Talk von Micky Beisenherz widersprach Vizekanzler Robert Habeck den Vorwürfen entschieden. Die Grünen seien in etlichen Fragen dem Kompromiss zuliebe über ihren „Schatten gesprungen“.

Die sogenannten „AKW-Files“ nach Recherchen des Politikmagazins „Cicero“ haben Zweifel geweckt, ob ein möglicher Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke vor zwei Jahren so ideologiefrei geprüft wurde, wie es seitens des Bundeswirtschaftsministeriums versichert worden war. Im ntv-Talk „#beisenherz“ nahm nun der verantwortliche Minister zu den jüngst erhobenen Vorwürfen - auch vonseiten hochrangiger deutscher Energiemanager - Stellung.

Ein Jahr nach dem Atomausstieg, so stellte Robert Habeck (Grüne) im Gespräch mit Moderator Micky Beisenherz zunächst fest, seien die schlechten Szenarien „alle nicht eingetreten“. „Die Strompreise haben Vorkrisenniveau erreicht“, konstatierte der Bundeswirtschaftsminister. Und weiter: „Die CO2-Emissionen sinken. Wir haben in der Braunkohleverstromung das niedrigste Niveau seit den 60er-Jahren erreicht. Die erneuerbaren Energien werden massiv ausgebaut. Das Netz ist stabil.“

Robert Habeck: „Versucht, alle Varianten zu durchdenken“

Die Frage damals sei gewesen: „Kann durch einen kurzfristigen Weiterbetrieb der Atomkraft die Bedrohung durch eine Gas-Mangellage im Winter 2022/23 verhindert werden?“ Die Aussage der Betreiber zu Beginn des Jahres 2022 habe gelautet: „Ende '22 sind die Brennelemente alle. Danach kann ein Atomkraftwerk keinen Strom mehr erzeugen.“ Später, „ab Juni ungefähr“, sei die Aussage korrigiert worden. Dann sei gesagt worden, es gehe noch ein paar Monate länger, und dann sei „die Laufzeitverlängerung auch gekommen“.

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Noch im März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges, sei die Information aber eine andere gewesen, „deswegen konnten wir die Menge an Strom aus Atomkraftwerken nicht erhöhen“. Habeck weiter: „Dass einige Betreiber ein Interesse hatten, den Atomausstieg rückabzuwickeln, ist nicht überraschend.“

Dem Vorwurf, die Erwägungen im Wirtschaftsministerium seien „ideologisch getrieben“ gewesen, widersprach der Vizekanzler energisch. Man habe „versucht, alle Varianten zu durchdenken“, unter anderem einen letztlich verworfenen „Streckbetrieb“ im Sommer. Die Unterstellung der „Grünen-Ideologie“ findet Habeck allgemein „nicht berechtigt, wenn man sich anschaut, wie meine Partei in den letzten zwei, drei Jahren agiert hat“. So hätten die Grünen entgegen ihrer programmatischen Beschlüsse etwa die Kohlekraftwerke ans Netz gebracht, LNG-Terminals aufgebaut, Atomkraftwerke länger laufen lassen und auch „bei der Migration harte Verschärfungen mitgetragen“.

„Wir haben die Ideologie in der Regel in einen Kompromiss überführt“

Bei Themen, bei denen Grüne mit „Herzblut“ dabei seien, „sind wir immer über unseren Schatten gesprungen, weil wir wissen, dass wir in einer Regierung dem Land dienen und nicht dem eigenen Parteibeschluss“, bekräftigte Robert Habeck im ntv-Talk. Insbesondere die Frage der Atomlaufzeitverlängerung sei „keine einfache Debatte für die Partei“ gewesen, räumte er ein. Doch hier wie auch in vielen anderen Punkten habe man am Ende „die Ideologie, die eigene Überzeugung in der Regel in einen Kompromiss überführt, und ich würde fast sagen, häufiger als andere Parteien“.

Auch zur angespannten wirtschaftlichen Lage äußerte sich Habeck in der Diskussion mit Micky Beisenherz. Für die aktuellen Probleme machte Habeck zwei Ursachen aus: Deutschland sei als Exportland besonders stark von den vielen Kriegen und Konflikten auf der Welt betroffen. Zweitens komme man aus einer Phase, in der die Energiepreise enorm hoch waren. Das habe zu hoher Inflation und daraus folgend zu Konsumzurückhaltung geführt. „Aber diese Phase geht zu Ende. Die harten Daten zeigen, dass es besser wird.“

So würde aus aktuellen Umfragen ersichtlich, dass die Nachfrage in Deutschland steige. Auch die Bauinvestitionen und der Welthandel zögen an. „Es könnte sein, dass wir die Phase der Stagnation überwunden haben“, äußerte Habeck eine Hoffnung, die aber noch „ein zartes Pflänzchen“ sei.

Habeck sieht komplizierte Haushaltsverhandlungen kommen

Sämtliche Probleme der letzten anderthalb Jahre, die das Wirtschaftswachstum gedrückt haben, hätten ursächlich mit dem russischen Angriffskrieg zu tun, erklärte der Wirtschafts- und Klimaschutzminister. Davon unabhängig gebe es in Deutschland aber auch strukturelle Defizite. Habeck nannte den Fachkräftemangel, zu langsame Bürokratie und eine Kapitalschwäche, die dem Fehlen eines gemeinsamen europäischen Finanzmarkts geschuldet sei.

Seine eigene Bilanz als Wirtschaftsminister sieht Habeck bei all dem positiv: „Man kann auf die letzten zwei Jahre auch so gucken, dass wir unglaublich viel in den Griff bekommen haben, was zuvor unlösbar schien“, sagte er mit Blick auf den Netzausbau, den Windkraftausbau und das Bewegen großer Finanzvolumen.

Um große Finanzvolumen wird es auch in den anstehenden Haushaltsverhandlungen der Ampel-Koalition gehen. Diese würden kompliziert, gestand Habeck ein. Aber: „Bestimmte Aufgaben gehen nicht weg, wenn man sie nicht bedient“, argumentierte er unter anderem mit Blick auf die kostenintensive Unterstützung der Ukraine.

„Die Sache ist sehr ernst“

Ein „Kräftemessen“ (Beisenherz) mit Bundesfinanzminister Christian Lindner solle es nicht geben. Dennoch konnte sich Habeck eine Spitze gegen den FDP-Chef nicht verkneifen: „Ich will da gar keine Schärfe reinbringen, aber die Forderung der FDP bei ihren zwölf Punkten zum Parteitag war, den Soli abzuschaffen. Das reißt ein Loch von zwölf Milliarden - ohne Gegenfinanzierung!“

„Die Sache ist sehr ernst“, mahnte Habeck schnelle und seriöse Entschlüsse an: „Ich glaube nicht, dass wir es mit haushaltstechnischen Kleinstoperationen hinbekommen, sondern wir brauchen jetzt sehr schnell eine politische Entscheidung, wie wir mit den vielen Problemen und Kriegen und den haushaltspolitischen Vorgaben umgehen. Da müssen jetzt alle aufhören zu pokern und sehr schnell so miteinander reden, als wäre es die letzte Runde, die man macht.“ (tsch)